Der Dorfbrand Anno 1756
Niederscheld zählte in der Mitte des 18. Jahrhunderts ungefähr 65 Wohnhäuser und hatte folgende Ausdehnung:
die Hauptstraße von der Dill bis etwas über die Kirche (ohne das Scheunenviertel),
die Nixgasse und der untere Teil der Neugasse bis etwa zur Kirche.
Die alte Mühle an der Schelde stand noch, getrennt durch Feld und Gärten, etwas entfernt vom Dorfkern.
Die Nixgasse ist das älteste Wohngebiet Niederschelds.
Niederscheld stand wieder in einigem Wohlstand.
Die Gemeinderechnungen des Jahres 1755 zeigen einen Etat von 44 Gulden Einnahmen und 36 Gulden Ausgaben.
Im Kollektenbuch der Gemeinde Tringenstein, die ohne fremde Hilfe kein Schulhaus bauen konnte,
stand die Gemeinde "Niederschelt" am 6. April 1755 mit zwölf Albus verzeichnet. (Heimatbl. 1930)
Ein Jahr später hatte Niederscheld selbst dringend Hilfe nötig.
"Es war in der Erntezeit des Jahres 1756, am 5. August in der elften Vormittagsstunde,
als die meisten arbeitsfähigen Dorfbewohner noch auf den Feldern bei der Arbeit waren
und vom Feueralarm aufgeschreckt nach Hause stürmten.
Die untere Neugasse stand in hellen Flammen.
Dem entfesselten Element kamen zwei Umstände zu Hilfe:
Einmal waren die Fachwerkbauten der damaligen Zeit meist mit Stroh gedeckt
und zum anderen waren die Löscheinrichtungen derartig primitiv, dass an eine wirksame Bekämpfung des Feuers nicht zu denken war.
Die einzige vorhandene Feuerspritze, die außerdem schwer und unhandlich war,
gehörte sieben Ortschaften und stand zur Zeit des Brandes in Eibach.
Unter diesen Umständen konnten sich die erschreckt heimgeeilten Einwohner nur auf die Rettung des Viehs,
der Kleidungsstücke und des notwendigen Mobilars beschränken.
Bei den Rettungsarbeiten hat sich der damalige Heimberger, Johann Philipp Dörr, besonders hervorgetan,
indem er unter eigener Lebensgefahr die Gemeindekasse,
die Gemeindepapiere und den Gemeindebullen vor der Vernichtung rettete" (K.H. Hofmann).
Als Dank und Erinnerung an diese Tat wurde nach ihm der "Dörrnhof" benannt, der bis jetzt diesen Namen trägt.
Sein Wohnhaus war das Anwesen rechts am Eingang zum Dörrnhof
Das Datum vom 10.08.1756 trägt den Entwurf einer Mitteilung, welche in die Frankfurter Zeitung gesetzt werden sollte.
Hier steht unter anderem:
"...die nunmehr in die bitterste Armut geworfenen Brandgeschädigten
sind einer werktätigen Erbarmung desto würdiger,
da dieselben wegen plötzlicher Gewaltsamkeit der Flammen
von ihrem Vermögen und Effekten gar nichts haben retten können,
auch nach der bisherigen Untersuchung die Wahrscheinlichkeit begründet ist,
dass diese Feuersbrunst von einem heillosen Mordbrenner angelegt worden,
mithin des Dorfs Einwohner keine Feuers Verwahrlosung bey zu messen seye,
welche sonst die Regungs des Mitleidens gegen selbige.... unterdrücken könnte"
(Weber, S.49 nach HstAW 172, 2310, Band 1).
In einem Bericht, welche die Dillenburger Regierung an die vormundschaftlichen Regierungen in Den Haag und Braunschweig abschickte,
wurde der Gesamtschaden auf rund 21.777 Gulden beziffert.
In diesem Schreiben vom 27.08.1756 heißt es unter anderem:
"Der Brand war so heftig, dass ohnerachtet eines eben nicht allzu starken Windes,
gleichwohl ganze Klumpen glimmenden Strohs
fast bis drei Stunden weit nicht allein in das Amt Tringenstein,
sondern auch über die Grenze in das Darmstättische geflogen sind.
In höchstens anderthalb Stunden sind die Kirche,
44 Wohnhäuser, 43 Scheuern, 29 Ställe samt 4 Schmieden eingeäschert,
auch anbey alles bereits eingebrachte Heu nebst dem noch übrigen Getreide
und der mehrerste Hausrath und etwas Vieh verloren worden"
(Weber, S. 50 nach HstAW, 172, 2310).
Als erstes mussten die Brandgeschädigten mit Essen und Trinken versorgt werden,
als nächstes wurde von den Behörden ihre Unterbringung in den noch stehen gebliebenen
und teils schwer beschädigten Häusern veranlasst.
Auch wurden die Heimberger der Nachbarorte aufgefordert,
etliche Scheunen für die Bergung der bevorstehenden Ernte der Abgebrannten frei zu machen.
Es wurde eine genaue Untersuchung über die eigentliche Brandursache angestellt.
Aller Wahrscheinlichkeit nach muss der Brand von dem jetzigen Kammeschen Haus in der unteren Neugasse entstanden sein (Nix, S. 32).
Doch ist das nicht klar erwiesen, auch führte die damalige Untersuchung zu keinem fassbaren Ergebnis.
rechts-> das Haus Kamme Foto: Battermann
Anmerkung:
(Das Haus Kamme sowie noch andere Fachwerkhäuser wurden in den siebziger Jahren bei der Ausbetonierung der Schelde abgerissen).
Die meisten Geschädigten konnten aus eigener Kraft wieder aufbauen,
während 15 der insgesamt 62 Geschädigten auf Spenden und Sammlungen in den benachbarten Ämtern angewiesen sind.
Bauholz wird aus den fürstlichen Wäldern kostenlos zur Verfügung gestellt.
Die Regierung erlässt verschiedene Dekrete, worin hilfreiche Punkte abgehandelt werden.
Als erstes: Die sämtlichen Brandgeschädigten sind ab sofort vom Frondienst befreit (13.08.1756).
Damit eine künftige Feuersbrunst vermieden wird, sollen die neuen Wohnhäuser und Scheunen streng getrennt werden,
ohne Rücksicht darauf, ob sie wieder auf ihre alte Stelle kommen.
Die Scheunen sollen in einem besonderen Scheunenviertel, abseits von Wohngebäuden aufgebaut werden.
Alle Gemeinden der Ämter Dillenburg, Herborn und Haiger werden zu Hilfeleistungen für die Brandgeschädigten verpflichtet.
Selbst die sonst bevorrechtigten Heimbergern sollen "nicht frei ausgehen können,
sondern sich bey einem dergleichen Vorfall solches ebenfalls wie andere Untertanen gefallen lassen".
(Die Heimberger waren von den Handdiensten ganz frei. Zudem wurden Ihnen zwei Gespanne dienstfrei belassen.
Die "Heimbergsklafter" wurden ihnen mit Fuhren frei geliefert.
Sie durften zur Mastzeit ein Schwein frei in den Wald lassen
und waren nicht zur Lieferung von Herren- und Rauchhühnern verpflichtet.
(J. Brumm, in "Nassovia", 1905).
Der für das Frühjahr angesetzte Baubeginn wird von der Gemeinde selbst hinausgezögert.
Alle Gemeindemitglieder unterzeichnen ein Gesuch, den Wiederaufbau in der alten Art vornehmen zu dürfen.
Als Hauptargument geht hervor, dass durch die Ausnutzung der noch bestehenden und brauchbaren Fundamente
und Keller viel Arbeits- und Geldaufwand erspart werden könne.
Auch möchte jeder an seinem alten Platz und gewohnter Nachbarschaft verbleiben.
Es heißt, die Regierung möchte gestatten,
"dass jeder Brandgeschädigte wieder auf sein von den Vorfahren ererbtes Gut bauen darf
und seine Gerechtigkeit nicht verlassen müsse". (21.03.1757)
In welcher Weise die Behörde diesen organisierten Boykott überwunden haben,
lässt sich nicht mehr genau feststellen.
Aber es dauert noch bis Anfang des Jahres 1759, bis die Abmessung und Verteilung der Bauplätze
und die Regulierung der Wege abgeschlossen ist.
(aus Chronik Niederscheld)
K. H. Hofmann schrieb einen Artikel in den Nummern 1-2 des Gemeindeblattes Niederscheld, 1933,
Dr. Dönges, Walther Nix, D. P. Weber,
Akten des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden